19. Juni 2024
Institutionelles Kinderschutzkonzept im Jugendamt
Nach der Aufdeckung verschiedener schwerwiegender Fälle des sexuellen Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen hat die Landesregierung NRW 2020 ein Handlungs- und Maßnahmenkonzept zur Prävention, Intervention und Hilfe bei sexualisierter Gewalt gegen Kinder und Jugendliche beschlossen.
Einzelne Jugendämter haben daraufhin Projekte initiiert, um amtsintern und im subsidiären Bereich freier Träger ein institutionelles Kinderschutzkonzept zu entwickeln, um die Sicherheit und Qualität in der Kinder- und Jugendarbeit voranzubringen. Gemäß § 79a SGB VIII sind Jugendämter in der Planungs- und Gesamtverantwortung, intern und in Abstimmung mit den subsidiär beteiligten freien Trägern der Jugendhilfe Qualitätsentwicklung zu betreiben.
Voraussetzungen für wirksamen Kinderschutz
Die machtbetonte und tabuisierende Dynamik von Kinderschutzfällen stellt fachlich und emotional sehr hohe Anforderungen an alle Beteiligten, insbesondere an die mit dem Fall befassten Fachkräfte. Wesentlich ist die zügige und sichere Beurteilung der Situation des Kindes und eine hochtransparente Kommunikation zwischen allen Beteiligten. Das erfordert Mut und Konfliktbereitschaft.
Um das zu ermöglichen, müssen verschiedene organisatorische Voraussetzungen gegeben sein:
- ein angstfreies Organisationsklima
- eine effektive top-down- und bottom-up-Kommunikation
- eine offene, reflexive Fehlerkultur mit systemischem Fokus
- ein systematisch und kontinuierlich geführtes Risikomanagement
- eine klare und offen kommunizierte Führungshaltung zum Thema
- die breite Mitarbeiterbeteiligung in allen Projektphasen
Projektstruktur
Qualitätsmanagement ist gemäß der DIN EN ISO 9000:2015 Führungsaufgabe. Entsprechend wird eine Projektsteuerungsgruppe gebildet, in der Amtsleitung, Fachgebietsleitungen und Teamleitungen vertreten sind. Auch horizontal sollten sich alle Fachbereiche hier wiederfinden, z. B. Beratungsstellen, Allgemeiner Sozialer Dienst, Eingliederungshilfe, Kindertageseinrichtungen, Fachstelle Kinderschutz.
Vor dem Hintergrund der o. a. organisatorischen Voraussetzungen müssen zunächst die Führungskräfte im Umgang mit der emotional belastenden Thematik sicher sein. Damit dominiert zu Beginn ein top-down-Ansatz.
Da vor allem bei den Mitarbeitenden des Allgemeinen Sozialen Dienstes vielfältige praktische Erfahrungen im Umgang mit dem Thema zu erwarten sind, ist im zweiten Schritt die breite Mitarbeiterbeteiligung sehr förderlich. Hier kommt ein bottom-up-Ansatz zum Zuge.
Sensibilisierung und Positionierung
Ziel der ersten Projektphasen ist, dass sich alle Mitarbeitenden die spezielle Psycho- und Soziodynamik von Kinderschutzfällen bewusstwerden und dazu eine klare, offensive Haltung entwickeln.
Zur Überprüfung von Organisationskultur und Führungswirkung mit darin möglicherweise begründeten Risiken kann optional eine Mitarbeiterbefragung durchgeführt werden.
Das Ergebnis wird in Form von Führungsgrundsätzen und einem Leitbild festgeschrieben.
Risikomanagement
Ausgangspunkt des Risikomanagements sind inhaltliche Analysen von Kinderschutzfällen aus dem eigenen Zuständigkeitsbereich.
Im nächsten Schritt wird die Organisation einer umfassenden Risikobewertung unterzogen. Dazu werden zunächst die kinderschutzrelevanten Leistungsprozesse identifiziert und beschrieben. Besondere Beachtung finden dabei die kommunikativen Prozesse und Schnittstellen zwischen Abteilungen des Amtes sowie externen Handlungsbeteiligten (z. B. Polizei, Familiengericht, freie Träger der Jugendhilfe, Kinder- und Jugendhilfeausschuss, Bürgermeister/Landrat)
Im Zuge dieser Prozesse werden dann Risiken identifiziert und in ihrer Relevanz bewertet.
Qualitätsentwicklung
Für die hoch bewerteten Risiken werden im Anschluss unter Nutzung üblicher Qualitätsmanagementmethodik Lösungen entwickelt. Deren Umsetzung erfolgt dann über eine projektorientierte Maßnahmenplanung.
Auch hierbei werden möglichst viele Mitarbeitende aktiv einbezogen, um eine gute Durchdringung der Maßnahmen in den Strukturen der Organisation zu erreichen.
Maßnahmen
Zielgerichtete Organisationsentwicklung kann mit Hilfe unterschiedlicher Maßnahmen erreicht werden. Beispielhafte Ansätze können sein:
- Einrichtung einer Fachberatungsstelle Kinderschutz / Kinderrechte
- Öffentliches Kinderschutztelefon
- Entwicklung eines Verfahrensstandards Kinderschutz
- Intervision / Supervision zu Kinderschutzfällen
- Entwicklung einer offenen Besprechungskultur
- Amtsinterne Teamentwicklung
- Strukturierte Fallbesprechungen in Teams
- Regionale Netzwerkbildung / regionale Arbeitsgemeinschaft § 78 SGB VIII
- Fallwerkstätten unter Beteiligung regionaler freier Träger
- Regionale Jahrestagung Kinderschutz
- Qualitätsdialoge mit subsidiären freien Trägern der Jugendhilfe
Institutionelles Kinderschutzkonzept
Das oben beschriebene Vorgehen zu Zielen, Risikoanalyse und Qualitätsentwicklung wird letztlich als institutionelles Kinderschutzkonzept festgeschrieben und als Dienstanweisung für allen Handlungsbeteiligten in Kraft gesetzt.